„Sperrt eure Stimmen nicht in die Wahlurne ein! Verlasst den Raum der stummen Zuschauer*innen und stehlt den Politiker*innen die Show“
Seit nicht all zu langer Zeit schreiben wir das Jahr 2017 und wie jedes Jahr auch, ist irgendwo irgendeine Wahl. Ob Kommunal-, Europa- oder Landtagswahl – ganz gleich wo die Herrschenden sitzen, wie viel Macht sie besitzen, sie fordern jedes Mal aufs Neue die Menschen dazu auf, ihnen ihre Stimmen zu geben. An den Laternen hängen irgendwelche inhaltslosen Fratzen, in den Innenstädten stehen sie manchmal sogar persönlich, um die Leute mit ihrem Charme zu umgarnen oder um sie damit zu verjagen. In den Zeitungen sind Termine für Wahlkampfveranstaltungen zu finden, soziale Einrichtungen (hauptsächlich Jugendzentren) bereiten Veranstaltungen vor, um das Wählen für das frische Stimmvieh möglichst schmackhaft darzustellen.
Alle sollen es wissen: Es ist Wahlzeit und du hast die Möglichkeit endlich mitzumachen, mitzubestimmen und dafür zu sorgen, dass das was dir gegen den Strich geht, verschwindet oder dir wird weiß gemacht, dass das gar nicht so schlecht sei, wie dir dein Gefühl vorgaukeln möchte. Du musst deinen Arsch hochbekommen, damit du deinen Teil dazu beitragen wirst, das Bestehende zu sichern, der Herrschaft eine Legitimation zu geben und um deine Stimme in eine kleine Urne einzusperren.
In Schleswig-Holstein gibt es dieses Jahr gleich zwei Wahlgänge. Im Mai steht die Landtagswahl an und einige Monate später folgt die Bundestagswahl. Die Wahlbeteiligung im Schleswig-holsteinischen treibt Politiker*Innen oftmals in die Verzweiflung. So haben nach der Kommunalwahl 2013 Politiker*Innen aus Schwarzenbek Fragebögen an die Bewohner*Innen geschickt, um zu erfahren, warum nur weniger als 40% der Wahlberechtigten zur Wahl gingen. Wir als Anarchist*Innen erfreuten uns über die fast 60% der Nichtwähler*Innen, die geantwortet hatten, dass Wahlen sinnlos seien und hoffen darauf, dass es bei den diesjährigen Wahlen noch mehr werden und dass aus dem Nichtwählen ein selbstbestimmtes Handeln und Greifen nach einem freien leben wird.
Obwohl dieser Zirkus, namens Wahl, jedes Mal ähnlich abläuft und jedes Mal gleich ausgeht (immer irgendeine Herrschaft), so blicken dieses Jahr doch einige Augen auf das Geschehen und üben sich im Spekulieren und Prognostizieren der Ergebnisse. Grund dafür ist die AFD, welche, im Gegensatz zu anderen rassistischen Parteien, gute Chancen hat in die Parlamente einzuziehen. Viele wimmern und sorgen sich, dass bald Rassist*Innen etwas zu sagen haben, dass es für Geflüchtete, Anarchist*Innen, Linke, Migrant*Innen oder für alle anderen scheiß Zeiten geben könnte. Im linken Lager (egal welcher Strömung) gibt es seit geraumer Zeit Kampagnen gegen die AFD, sogar einige Anarchist*Innen springen mit auf diesen Zug, dass, alles, bloß nicht die AFD gewählt werden soll.
In diesem Punkt haben die meisten dieser Kampagne recht:
Nationalismus ist keine Alternative! Aber genauso wenig ist wählen gehen eine Alternative oder, aus der Furcht vor dem Nationalismus oder dem Faschismus, eine harmlosere Form der Herrschaft zu akzeptieren und, durch einen beschränkten Blick auf die AFD, das bestehende System zu schützen.
Lasst euch nicht von irgendwelchen linken Spinnern dazu bequatschen eure Stimme irgendeiner linken Partei zu geben, weil es euch als Ausdruck der Solidarität mit Geflüchteten und Migrant*Innen zu verstehen gegeben wird. Wenn ihr solidarisch mit ausgegrenzten und diskriminierten Menschen sein wollt, dann tut das nicht durch ein Kreuz auf einem Stück Papier.
Geht auf diese Menschen zu, unterstützt sie persönlich, steht zu ihnen, wenn wieder einmal ihre Unterkünfte von Neonazis und/oder Rassist*Innen abgefackelt werden oder wenn sie auf der Straße bespuckt, beleidigt oder von Bullen schikaniert werden. Handelt aktiv auf der Straße und ruht euch nicht darauf aus, dass ihr eure Wünsche an irgendwelche Stellvertreter*Innen delegieren könnt und ihr somit etwas für euer Gewissen unternommen habt.
Und lasst euch noch weniger von irgendwelchen rassistischen und nationalistischen Arschlöchern sagen, dass ihr „mit der Politik abrechnen sollt“, dass „ihr so wenig wegen der Flüchtlinge habt“ oder euch von einem sinnentleerten „Merkel muss weg!“- Ruf mitreißen, weil es so leicht verständlich ist, obwohl das eigentliche Problem dadurch nicht gelöst wird. Lasst euch nicht erzählen, dass Kameradschaft, Freundschaft und Stärke durch ein dämliches Volkskonstrukt entstehen. Rassismus und Nationalismus nutzen in erster Linie irgendwelchen Autoritäten, den Faschist*Innen nutzen sie, weil sie somit Zulauf verzeichnen können und den Herrschenden helfen sie dabei, dass der eigentliche Konflikt, welcher durch die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden geschürt wird, auf andere und mit ausgebeutete und unterdrückte Menschen projiziert wird. Der Staat hat durch Rassist*Innen nichts zu befürchten, weil sie ihren Zorn auf Geflüchtete und Migrant*Innen lenken, anstatt auf die, die eigentlich für diese Misere, in der wir leben verantwortlich sind. Wenn die Konstrukte von Volk und Staatsgrenzen nicht anerkannt werden, so können wir in den anderen Unterdrückten Komplizen (und keine Feindschaft aufgrund unterschiedlicher Nationalität) finden, mit denen wir das Fundament der Herrschaft zum Bröckeln bringen können.
Für uns ändern die Wahlen nicht, bis auf die Länge unserer Leine oder ob für uns ein Maulkorb vorgesehen ist oder nicht. Für uns sind sie ein Spektakel, bei dem die Untergebenen zu den Wahlurnen gerufen werden, damit sie ihre Stimmen abgeben, sich freiwillig unterwerfen und vor der Herrschaft kriechen und ihr somit die Erlaubnis geben, über sie zu bestimmen.